Schwester Matthaia Osswald, Deutschland:
Das lange Abenteuer auf der Suche nach der Wahrheit
Die Geschichte erzählt, wie eine röm.-kath. Schwester die Fülle der Wahrheit in der orthodoxen Kirche gefunden hat.
Kindheit und Jugend
Geboren wurde ich 1961 als Kind protestantischer Eltern in einer süddeutschen Kreisstadt. Wir lebten in einem Vorort, der früher ein eigenes Dorf gewesen war und erst später eingemeindet wurde. Dort gab es nur eine einzige röm.-katholische Familie, alle anderen Einwohner waren Protestanten. In der Grundschule war die Tochter dieser Familie eine Klassenkameradin von mir, die ich eigentlich ganz gerne mochte. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass es mir strengstens verboten war, sie zu besuchen, denn mir wurde gesagt, dass es eine Schande für unsere Familie wäre, wenn jemand davon erfahren würde. In späteren Jahren wuchs die Toleranz in dieser Hinsicht. Wenn auch die Mehrzahl der Einwohner protestantisch ist, so gibt es doch mittlerweile auch viele Katholiken und mehrere röm.-kath. Kirchengemeinden in der Stadt.
Meine Eltern glaubten zwar an Gott, aber sie praktizierten ihren Glauben nicht, d.h. wir gingen sonntags nicht in die Kirche, beteten nicht, zumindest nicht gemeinsam oder vor den Mahlzeiten und Gott war kein Thema bei uns zu Hause.
Im Haus meiner Großeltern wohnte allerdings eine alte, evangelische Diakonissenschwester, die früher Kindergärtnerin gewesen war. Sie war wie ein Licht für mich. Immer wenn ich meine Großeltern besuchte, nutzte ich jede Gelegenheit um zu „entwischen” und diese Schwester zu besuchen. Sie erzählte mir immer von Jesus, von den Wundern, die er getan hatte, wie er ihr auf vielfältige Weise immer wieder geholfen hatte, vom Paradies, dem Himmel, den Engeln. Und sie betete mit mir. Die Zeit mit ihr verging immer wie im Flug! Ich war immer traurig, wenn ich wieder eine Stimme hörte: „Wo bist Du denn schon wieder? Jetzt komm aber schnell!” Meine Großeltern sahen es gar nicht gerne, wenn ich so viel Zeit mit dieser „frommen Tante” verbrachte.
Eines Abends lag ich in meinem Bett, ich war vielleicht vier oder fünf Jahre alt, und dachte darüber nach, wie schrecklich anstrengend es sein müsse, dass Gott, der Vater, sich nie ausruhen kann. Immer musste er wachen über die vielen, vielen Menschen und aufpassen, dass ihnen nichts Böses geschah. Ich machte ihm alle möglichen Vorschläge, ob er sich nicht z.B. mit seinem Sohn abwechseln könne oder mit den Engeln. Zum Schluss sagte ich, dass ich ihm so gerne helfen würde, und es würde mir nichts ausmachen, ab und zu nachts wach zu bleiben, aber das würde den Menschen ja auch nicht helfen. Das war zwar alles sehr kindlich, aber dennoch war es auch sehr ernst gemeint, und ich habe es nie vergessen, wenn es auch in späteren Jahren erst einmal völlig in den Hintergrund trat.
Dann begannen meine Schuljahre. Ich war mit anderen Dingen beschäftigt. Zwar zweifelte ich niemals an der Existenz Gottes, aber es hatte keine Bedeutung mehr für mich und mein Leben. Es war wie zwei verschiedene Dinge, die nichts mit einander zu tun haben. Meine ganze Jugend war davon geprägt, dass ich immer sein wollte, wie die anderen. (Was mir aber nie gelang, ich blieb immer irgendwie ein Außenseiter, was zum Teil bestimmt auch auf mein unansehnliches Äußeres zurückzuführen ist.) Ich probierte alles aus, was die anderen auch taten – rauchen, abends in Kneipen sitzen, Marihuana, Rockmusik etc. Zwar war ich da mit einer so genannten Clique zusammen, aber de facto saß ich doch die meiste Zeit allein in einer Ecke und bin irgendwie nie „angekommen”, wenn ich es auch krampfhaft versuchte.
Von der Liebe Gottes getroffen
Als ich 17 Jahre alt war, geschah eine entscheidende Wende in meinem Leben. Ich hatte schon immer eine große Liebe zur Musik, spielte mehrere Instrumente und wollte später einmal Musik studieren.
Meine Mutter hatte zwei Konzertkarten geschenkt bekommen. Es handelte sich um die „Matthäuspassion” von Joh. Seb. Bach, das ist die Geschichte des Leidens Jesu Christi nach dem Evangelium von Matthäus. Das Konzert sollte am Karfreitag, dem Freitag vor Ostern, stattfinden. In der protestantischen Kirche kennt man keine besonderen Gottesdienste in der Woche vor Ostern, deshalb finden häufig so genannte „geistliche Konzerte” statt, die man zur Besinnung und inneren Einkehr besucht. Das Konzert dauerte dreieinhalb Stunden. Eigentlich kann ich kaum beschreiben, was da in mir geschah. Das Heilige Evangelium in Verbindung mit dieser bewegenden Musik traf mich zutiefst und erschütterte mein Herz. (Etwas ganz ähnliches habe ich übrigens in der Biographie von Pater Seraphim Rose gelesen.) Ich war getroffen und überwältigt von der Liebe Jesu Christi, der sich für uns und unsere Sünden am Kreuz hingegeben hatte. Diese Liebe war hier und jetzt Realität für mich und sie erfüllte mich ganz und gar. Ich saß alleine in der Kirche und weinte, ich weiß nicht wie lange. Und ich wusste nur noch eines, ich wollte eine Antwort auf diese Liebe werden. Das war deutlich in meinem Herzen. Ich fragte mich später oft, warum ich gesagt hatte „Ich will eine Antwort auf diese Liebe werden” und nicht „Ich will eine Antwort auf diese Liebe geben”. Ich verstand es nicht, aber es schien irgendwie von Bedeutung zu sein. Von diesem Tag an änderte sich mein Leben. Am nächsten Tag kaufte ich mir eine Bibel. Ich hängte ein Kreuz in meinem Zimmer auf und anstatt abends in die Kneipen zu gehen, las ich in der Heiligen Schrift und betete. Dann fasste ich den Entschluss Kirchenmusik zu studieren. Ich dachte mir, wenn Gott mein Herz auf diese Weise so berührt hat und mir ein Talent geschenkt hat, dann will ich mithelfen, dass vielleicht auch andere Menschen eine ähnliche Erfahrung machen können. Ich wurde Mitglied im Kirchenchor unserer Stadt und begann einen Kurs in Kirchenmusik zu machen und Orgelstunden zu nehmen. So änderte sich auch mein Freundeskreis. Die nächsten drei Jahre widmete ich völlig der Kirchenmusik, den neuen Bekannten, der Heiligen Schrift und nebenbei noch der Schule…
Protestantismus oder römisch – katholische Kirche?
Eine Freundin spielte aushilfsweise Orgel in einer katholischen Kirchengemeinde unserer Stadt. Einmal hatten wir uns verabredet, weil wir samstagabends etwas gemeinsam unternehmen wollten und wir hatten ausgemacht, dass ich vor der Kirche auf sie warten würde. Aus Versehen war ich eine Stunde zu früh dort und so entschied ich mich, mit ihr auf die Orgelempore zu gehen und mir den Gottesdienst „von oben” anzuschauen anstatt vor der Kirche zu warten. Irgendwie war es anders, als die evangelischen Gottesdienste, die ich kannte. Es war irgendwie transzendenter und es sprach mich an. Irgendwie ließ es mich nicht in Ruhe und ich wollte dem auf die Spur kommen, was denn da so anders war und was mich ansprach. Über einen längeren Zeitraum besuchte ich nun samstagabends immer die Vorabendmesse in der röm.-kath. Kirche und sonntagmorgens den evangelischen Gottesdienst. Ersteres zog mich immer mehr an. In der evangelischen Kirche vermisste ich die Transzendenz, es schien mir mehr ein menschliches Gebilde zu sein, wo die Menschen ein gemeinsames Interesse verbindet, nämlich Gott. In der röm.-kath. Kirche spürte ich so etwas wie Transzendenz. Die Menschen verband etwas, das sie übersteigt, anders als in einem „Verein” oder einer Interessengemeinschaft. Besonders bewegte mich die Eucharistie im Gegensatz zum evangelischen Abendmahl, das für mich nie von Bedeutung gewesen war. Ich sprach häufig mit dem Priester der Gemeinde, der sehr modern orientiert war. Als Protestant hatte ich natürlich erhebliche Probleme mit dem Papsttum! Aber für den Priester schien das kein Problem. Oder besser gesagt, es war ein Problem, aber er hatte das Problem auf seine Weise für sich gelöst und es auch auf diese Weise in den Vorlesungen an der Universität von seinem Professor gehört. (Der Professor hat in späteren Jahren die Lehrerlaubnis von Rom entzogen bekommen.) Er sagte: „Der Papst ist in Rom und wir sind hier. Was weiß er von uns. Er soll sich um die Kirche in Rom kümmern und wir um unsere hier.” (Diese Ansicht ist natürlich alles andere als röm.-kath., und sie gewann in den achtziger Jahren an Verbreitung.)
Was mich letztendlich dazu bewog röm.-kath. zu werden war die Erfahrung einer gewissen Transzendenz und vor allem die Eucharistie, d.h. der Glaube, dass in der Heiligen Messe, Brot und Wein tatsächlich in Leib und Blut Christi verwandelt werden, dass es also eine Realität war und nicht nur symbolisch. Ein weiterer Grund war die Liturgie, denn in der evangelischen Kirche gibt es in diesem Sinn eigentlich keine Liturgie. Der Gottesdienst besteht nur aus der Lesung aus der Heiligen Schrift, einer langen Predigt und vielen Liedern und ca. einmal monatlich dem sog. Abendmahl, im Anschluss an den Gottesdienst. Im Oktober 1982 wurde ich also röm.-katholisch. Wenn ich heute daran denke auf welche Weise das geschah, kann ich nur den Kopf schütteln über meine Verblendung. Wir hatten uns entschlossen, eine so genannte Hausmesse zu feiern, damit das ganze einen mehr familiären Charakter hatte. Die Feier fand also nicht in der Kirche statt, sondern im Wohnzimmer des Priesters. Die Lesung und das Evangelium konnte ich selbst aussuchen, und anstatt einer Predigt tauschten wir alle gemeinsam darüber aus, während wir auf dem Sofa saßen. Das war der Wortgottesdienst. Zur Eucharistiefeier saßen wir gemeinsam um den Esstisch, der als Altar diente. Ich musste zwar gemeinsam mit den anderen das Glaubensbekenntnis sprechen, aber niemand forderte mich auf das Bekenntnis „Ich glaube und bekenne alles, was die heilige, katholische Kirche glaubt, lehrt und verkündet” abzulegen. (Das fiel mir erst 24 Jahre später auf, als jemand zu mir sagte, „Du kannst doch nicht so einfach unsere Kirche verlassen, nachdem Du dieses Bekenntnis abgelegt hast!”)
So war ich also röm.-katholisch geworden. Und nun? Die Kirchenmusik spielt in der evangelischen Kirche eine sehr wesentliche Rolle, während sie in der röm.-katholischen vergleichsweise untergeordnet ist. Zudem fand ich die Kirchenmusik hier nie besonders anziehend. Sie war nach dem 2. Vatikanischen Konzil, als die Feier der Liturgie in der jeweiligen Landessprache erlaubt wurde, im Schnellverfahren entstanden, und hatte keine Tradition. Außerdem dachte ich nun, ich müsste irgendwie praktisch in einer Gemeinde tätig werden, und da ich als Frau ja nicht Priester werden konnte, entschied ich mich Theologie zu studieren, um dann Pastoralreferentin zu werden. Ich las weiterhin viel in der Heiligen Schrift, und am tiefsten sprachen mich innerlich immer die sog. Berufungsgeschichten an. Es traf mich immer, wenn ich las, dass Jesus zum reichen Jüngling sagte: „Geh, verkauf alles, was Du hast, dann komm und folge mir nach.” oder zu einem anderen „lass die Toten ihre Toten begraben, Du aber komm und folge mir nach” oder „wer die Hand an den Pflug legt und sich noch mal umdreht, ist meiner nicht würdig.” Es traf mich und es schmerzte mich. Ich wollte meinen Glauben ja zu meinem Beruf und zur Hauptsache meines Lebens machen. Aber wie sollte das aussehen? Sollte ich einfach die Haustür hinter mir zumachen, ohne einen Pfennig Geld, ohne Vorratstasche, mit nur einem Hemd, einfach loslaufen, so wie es im Evangelium steht? Aber wohin?!
Auf der Suche nach (m)einem Kloster
Vor Beginn des eigentlichen Studiums musste ich erst ein einjähriges Vorseminar besuchen, um Latein zu lernen und einen Kurs in Bibelgriechisch abzulegen. In diese Zeit fällt ein weiteres wegweisendes Ereignis. Als ich eines Tages im Wartezimmer eines Arztes in einer Zeitschrift blätterte, stieß ich auf einen Artikel über ein Benediktinerinnen-Kloster. Das interessierte mich! Vielleicht war das ja die Antwort auf meine existentielle Frage! Ich war überzeugt gewesen, dass es Klöster nur im Mittelalter gegeben hatte. Wie gesagt, ich wohnte in einer evangelischen Gegend, wo es keine Klöster gab. Gleich am nächsten Tag rief ich an und fragte, ob ich einmal zu Besuch kommen dürfte. Ich erhielt eine Zusage und freute mich wochenlang auf die kommenden Ferien, die ich dort verbringen würde. Ich war tief beeindruckt, die Stille, das Stundengebet, zu dem sich die Schwestern alle drei Stunden gemeinsam in der Kirche versammelten, die Handarbeit, der gleich bleibende Tagesrhythmus bei dem die Seele zur Ruhe kam. All das sprach mich an, dennoch, irgendetwas fehlte mir auch dort. Ich erfuhr, dass es viele verschiedene Orden, mit verschiedenen Regeln und Ausprägungen gab. Ich lernte die Franziskanerinnen kennen, den Karmel und manche andere. Überall sprach mich etwas an, aber es war nicht alles, es fehlte etwas, aber was? (Die Antwort auf diese Frage sollte ich erst viele Jahre später bekommen.) Auf jeden Fall war mir klar geworden, dass ich auf jeden Fall ein gottgeweihtes Leben führen und Schwester werden wollte. Im Gebet fragte ich Gott immer wieder, wo er mich haben wollte, in welchem dieser vielen Orden und Gemeinschaften. Auf meiner Suche kam ich dann auch in Kontakt mit der sog. Charismatischen Gemeindeerneuerung. Allerdings fühlte ich mich nie so ganz wohl dabei. Alle sangen in „Sprachen”, manche redeten prophetisch, alles war ziemlich emotional – und ich fühlte mich wieder einmal fremd. Das konnte ich mir allerdings nicht anmerken lassen, denn es hätte ja bedeutet, dass ich vom Heiligen Geist nicht ergriffen war und mein Herz verschlossen hielt.
In diese Zeit fällt auch ein Besuch bei einer der sog. neuen geistlichen Gemeinschaften. Sie wurde Anfang der achtziger Jahre gegründet und bestand aus zölibatär lebenden Männern und Frauen, die nach einer längeren Probezeit (Noviziat) ihre Gelübde ablegten und Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam versprachen. Zu den Mitgliedern gehörten aber auch Familien mit Kindern. Die Ehepaare versprachen Armut, Gehorsam und eheliche Keuschheit. Äußerlich gesehen sprach mich bei meinem ersten Besuch dort gar nichts an, eigentlich eher das Gegenteil. Allerdings fragte ein Besucher in Rahmen einer Gesprächsrunde, was denn die Bedingungen seien für einen Eintritt in diese Gemeinschaft, worauf der Gründer und Leiter der Gemeinschaft antwortete: „Bedingungen? Es gibt nur eine einzige. Wer hier rein will, muss sein Leben an der Haustür abgeben!” Das saß!
Als ich am Abend wieder nach Hause fuhr wusste ich auch nicht mehr als vorher. Nur dieser eine Satz verließ mich nicht mehr.
In jenem Sommer lud mich dann ein guter Freund zu einem großen Treffen verschiedener katholischer neuer geistlicher Gemeinschaften in Frankreich ein. Die Vielfalt, die Gesänge, die israelischen Volkstänze, die Gebetszeiten, die eucharistische Anbetung in der Stille – das sprach mich an, und ich meinte nun endlich angekommen zu sein. Bei dieser Gemeinschaft wollte ich eintreten und dort Schwester werden. Ich ging zurück nach Deutschland, machte im Herbst die Abschlussprüfung am Theologischen Vorseminar und kaufte mir im Dezember mit den letzten 300.- DM, die mir ein Freund zu diesem Zweck geschenkt hatte, eine Zugfahrkarte nach Frankreich, mit der Absicht, nie wieder zurückzukehren. Der Mensch denkt und Gott lenkt! Nach zwei Wochen erfuhr ich, dass über Weihnachten alle Häuser der Gemeinschaft für Gäste geschlossen wären. Oh Schreck! Und nun? Kein Geld, keine Perspektive, was jetzt? Gott sei Dank gab es in letzter Minute eine Änderung. Ein Haus dieser Gemeinschaft bot über Weihnachten Exerzitien für Gäste an und blieb geöffnet. Dafür reichte mein Geld gerade noch. Nach einer Woche befand ich mich in derselben Situation. Aber eine Frau, die auch an den Exerzitien teilgenommen hatte, lud mich ein, mit ihr eine Wallfahrt zu machen. Anschließend gab sie mir etwas Geld und bezahlte mir eine Zugfahrkarte zum sog. Mutterhaus (dem Gründungshaus) der Gemeinschaft in einem anderen Teil Frankreichs. Dort verbrachte ich eine weitere Woche und war voller Erwartung, nun endlich mit dem Gründer sprechen zu können und in die Gemeinschaft eintreten zu dürfen. Ich lebte dort eine Woche in der Gemeinschaft mit. Am Ende dieser Woche war es für ihn nicht so offensichtlich, dass Gott mich in diese Gemeinschaft rief. So betete er während einer Vesper für mich, während er mir die Hände auflegte und erhielt ein sog. „inneres Wort”, das lautete „Meine Wege sind nicht deine Wege. Ich zeige Dir einen anderen Weg, den Du jetzt noch nicht verstehen kannst. Aber ich verlange von dir eine absolute Verfügbarkeit.”
Mit diesem Wort stand ich nun da und wurde wieder weggeschickt. Wohin? Ich war wirklich verzweifelt. Keiner konnte mir eine Erklärung für dieses Wort geben. Keiner eine Perspektive. Ich wollte doch nur eines: Jesus Christus nachfolgen, ihm mein Leben weihen. Es war schrecklich. Zu meiner Enttäuschung kam noch die innere Anfechtung, dass Gott mich entweder nicht wollte, oder aber ich war zu dumm meinen Platz, besser gesagt, den Platz an dem ER mich haben wollte, zu finden. Wieder erbarmte sich jemand über mich und gab mir das Geld für die Heimreise. Ich war ausgezogen, um nie wieder zurückzukehren und nun stand ich ein paar Wochen später wieder unangemeldet bei meinen Eltern vor der Haustür. (Zuvor hatte ich noch einen Zwischenstopp in einem Kloster in Frankreich gemacht, um eine Woche zu Schweigen und innerlich zur Ruhe zu kommen. Ersteres war mir gelungen, letzteres nicht…)
Meine Eltern freuten sich natürlich sehr mich wieder zu haben, aber ich war völlig orientierungslos. Die nächsten zwei Wochen verbrachte ich fast ausschließlich zurückgezogen und betend in meinem Zimmer. Dabei klopfte innerlich immer wieder jener Satz an: „Wer hier rein will, muss sein Leben an der Haustür abgeben!” Es war ein Kampf in mir. Einerseits hatte mich ja dort gar nichts angezogen, die Armut, die seltsamen bärtigen Gestalten in den alten Kutten, kein Strom, kein fließendes Wasser, Plumpsklo, keine Privatsphäre und vieles mehr. Aber dieser Satz, der ließ mich nicht mehr los. Eigentlich war es doch das, was ich wollte, was ich seit meiner Bekehrung innerlich gesucht hatte, diese ganze radikale Hingabe an Christus, nichts mehr für sich selbst zu suchen – das eigene Leben an der Haustür abgeben. Also gut, ich wollte es darauf ankommen lassen. Ich entschloss mich anzurufen, jetzt sofort, es war Freitagnachmittag, und zu fragen, ob ich übers Wochenende kommen dürfte. Wenn ich eine Absage bekommen würde, dann würde ich dieses Kapitel abhaken und nicht mehr weiter darüber nachdenken. (Insgeheim hoffte ich es ja irgendwie.) Ich bekam eine Zusage. Also gut. Am nächsten Tag fuhr ich hin, und diesmal war es anders. Die Äußerlichkeiten stießen mich nicht mehr so sehr ab und ich hatte ein langes Gespräch mit dem Gründer, was meine innere Suche und die vergangenen Monate betraf. Er bot mir an vier Monate, bis zum 15. August bei der Gemeinschaft bleiben zu können, um dort in Ruhe und Gebet, Gott die Frage nach meiner Berufung stellen zu können.
Nach drei Wochen hatte ich den Eindruck, dort meinen Platz gefunden zu haben. Am meisten liebte ich die Stille und das innere Gebet, aber auch die Einfachheit und Unmittelbarkeit des Lebens lernte ich mehr und mehr zu lieben und wollte sie nicht mehr gegen ein komfortableres Leben eintauschen. Hier lernte ich die röm.-kath. Kirche auch von einer ganz anderen Seite kennen. War ich in einer extrem modernistisch geprägten Gemeinde katholisch geworden, so befand ich mich nun in einer Gemeinschaft, in der die Liebe zum Papst und der Gehorsam ihm gegenüber groß geschrieben wurde. Man verfolgte eifrig, was er sagte und was er tat und orientierte sich daran. Das fiel mir äußerst schwer, und ich fühlte mich immer wie ein Rebell, der das mit Zähneknirschen mitmachte. Es hat Jahre gedauert, bis sich das allmählich änderte!
Ein Jahr später begann mein Noviziat. Ein weiteres Jahr später legte ich meine ersten Versprechen für drei Jahre ab. Danach folgten noch einmal sog. zeitliche Versprechen und dann die „ewigen Versprechen”. Allerdings befand ich mich damals absolut nicht in der Verfassung, um ein solches ewiges Versprechen abzulegen. Ich befand mich in einer tiefen seelischen Krise und war völlig hin und her gerissen, ohne innere Gewissheit. Aber ich dachte, das sind alles innere Anfechtungen, schlechte Gedanken und Gefühle, die man nicht zulassen darf, und so wandte ich mich innerlich einfach von dem ganzen „Seelenchaos” ab und legte die Versprechen ab. Der Sturm legte sich zwar etwas, aber wirklich ruhig wurde es nicht in mir. Das ist vielleicht symptomatisch für meinen Weg. Wie bereits erwähnt, zog mich in den vielen Orden und Gemeinschaften immer vieles an, aber etwas fehlte immer, das ich zu diesem Zeitpunkt nicht benennen konnte. Hier in dieser Gemeinschaft war es subtiler, es fehlte mir zwar nichts mehr, aber die wirkliche innere Ruhe, ein wirklich tiefes, letztes inneres Angekommensein fand ich auch hier nicht. Diese Gedanken, eine undefinierbare Sehnsucht stiegen immer wieder in mir auf, aber ich dachte, ich müsste sie geistlich bekämpfen, sie seien dämonisch, und ich dürfte diese Gedanken und Gefühle keinesfalls zulassen. Ich dachte, diesen letzten Frieden und dieses tiefe Angekommensein wird man erst im Himmel erleben, in diesem Leben ist man unterwegs, und eine innere Unruhe und eine leise Traurigkeit bleiben in diesem irdischen Leben.
Ich hätte nie gedacht, dass ich diese Gemeinschaft jemals wieder verlassen würde. Abgesehen von manchen Krisen, die aber bestimmt jeder durchlebt, der solch einen Weg geht, war ich dort glücklich und zufrieden. Ich liebte meinen Seelenführer, den Gründer der Gemeinschaft und die Geschwister. Und auch die verschiedenen Dienste, die mir aufgetragen waren, versah ich gerne. Um nicht missverstanden zu werden: ich befinde mich auch heute nicht in einer Feindschaft mit ihnen. Ich achte ihren guten Willen, ihren Eifer, ihre Hingabebereitschaft und ich habe dort vieles gelernt, wofür ich auch heute noch dankbar bin. Dennoch habe ich nach 21 Jahren die Gemeinschaft verlassen. Warum?
War ich zuerst sehr modernistisch orientiert gewesen, so gaben mir die Entwicklungen in der röm.-katholischen Kirche im Laufe der Jahre immer mehr zu denken. Alle möglichen Theorien, die neuen theologischen Strömungen, die damit begründet waren, dass der Heilige Geist uns immer tiefer in alle Wahrheit führt, die vielen Kirchenaustritte, der Priestermangel, kein Nachwuchs in den Klöstern. Die Jugendlichen gingen nicht mehr in die Kirche, und man versuchte dem entgegen zu wirken, in dem man alle möglichen liturgischen Experimente machte, um die Jugendlichen zu gewinnen. Rockmusik in der Liturgie, Disko, Fürbitten per SMS, In line skater-Messen, wo die Jugendlichen mit Skateboard und Rollschuhen in die Kirche kamen und Ähnliches. Ich hatte den Eindruck, alles, was Heilig ist, wird verkauft und angepasst, nur um es den Menschen möglichst schmackhaft und angenehm zu machen. Ich geriet mehr und mehr in einen Zwiespalt. Auf der einen Seite wurde ich immer konservativer, denn ich war überzeugt, dass man das Heilige heilig halten und bewahren müsste. Auf der anderen Seite war unsere Gemeinschaft ökumenisch.
Inspiriert von Papst Johannes Paul II, der begonnen hatte, gemeinsam mit den Vertretern der verschiedenen Religionen zu beten, wurde auch in unserer Gemeinschaft der Dialog mit den Religionen groß geschrieben. Wir waren also offen für anderen Konfessionen, Religionen und geistlichen Strömungen – natürlich in der Hoffnung, sie für unseren Glauben und die röm.-kath. Kirche zu gewinnen. Eine Ausdrucksweise davon war die Musik. Beispielsweise sangen wir meditative Gesänge, ähnlich einem Mantra, nur dass wir z.B. den Namen „Jeschuah” sangen, um in die innere Sammlung und Stille zu finden. Aber wir integrierten auch orthodoxe Elemente in unsere Gebetszeiten, so sangen wir z.B. Teile der orthodoxen Vesper (Esperinos) am Samstagabend in der deutschen Sprache mit russischen Melodien und auch andere orthodoxe Gesänge.
Eine meiner Hauptaufgaben in der Gemeinschaft war die Liturgie.
Die Begegnung mit der Orthodoxie – der Weg nach Hause
Im Jahr 2005 feierte die Gemeinschaft ihr 25jähriges Bestehen. Aus diesem Anlass durften alle Gemeinschaftsmitglieder, die noch nicht in Jerusalem gewesen waren, eine Wallfahrt machen. Wir kamen drei Wochen vor dem orthodoxen Osterfest in Jerusalem an. Da der Dialog ein wesentliches Element unserer Gemeinschaft war, nahmen wir auch Teil an den Liturgien der verschiedenen Konfessionen. Wir gingen in die armenische Kirche, zu den Kopten, zu den Franziskanern, den russisch-orthodoxen Schwestern im Magdalenenkloster am Ölberg und in die griechisch-orthodoxe Liturgie in der Auferstehungskirche. Die Vielfalt in Jerusalem war beeindruckend, und überall gab es etwas zu entdecken.
Die erste griechisch-orthodoxe Liturgie erlebte ich an Ostern in der Auferstehungskirche. Das war das entscheidende Erlebnis. Ich kann eigentlich gar nicht beschreiben, was ich da erlebte. Ich dachte, ich bin im Himmel, oder der Himmel ist hierher auf die Erde gekommen. Damals wusste ich noch nicht, was ein Cherubikon ist, aber als ich es das erste Mal hörte, erlebte ich solch eine tiefe Sammlung und ich dachte, jetzt singen die Engel zusammen mit den Menschen. (Später habe ich erfahren, dass es den beiden Gesandten des russischen Zaren genauso erging, als sie das erste Mal die Liturgie in Konstantinopel erlebten.) Und das tiefste Erlebnis war, ein innerstes Wissen, eine Gewissheit: JETZT BIN ICH ZU HAUSE ANGEKOMMEN! Es war wie die Antwort auf diese innere Unruhe. Das war es, was immer noch gefehlt hatte. Wie gesagt, es war ein inneres Erlebnis. Damals wusste ich noch nicht viel über Kirchengeschichte, Filioque, Schisma etc.
Zu diesem Zeitpunkt konnte und wollte ich noch nicht mit dem Leiter unserer Gemeinschaft in einen Austausch treten. Zuerst einmal wollte ich die orthodoxe Kirche tiefer kennen lernen. Das konnte zunächst nur in der Liturgie geschehen. Wie sollte es weitergehen? Nach Pfingsten würden wir alle die Heimreise antreten. Und dann?
Gott sei Dank leitete Gottes weise Vorsehung meine Wege!
Wie gesagt, war meine Aufgabe die Liturgie. Und so erhielt ich vom Leiter der Gemeinschaft an Pfingsten den Auftrag, gemeinsam mit einer anderen Schwester ein Jahr lang in Jerusalem zu bleiben und die verschiedenen Liturgien zu studieren. Ich sollte es machen wie die Bienen und den Honig sammeln, d.h. ich sollte jeden Sonntag eine andere Liturgie besuchen, Gesänge lernen, Noten aufschreiben und sehen, was wir davon in unsere Liturgie integrieren konnten. Es sollte ein Dienst für die Einheit der Kirchen sein. So besuchte ich abwechselnd die Armenier, die russisch-orthodoxen Schwestern am Ölberg und die griechisch-orthodoxe Liturgie in der Auferstehungskirche. Außerdem hatten wir die Aufgabe, einmal wöchentlich die Göttliche Liturgie im orthodoxen Ritus mit einem katholischen Priester zu feiern – mit dem Anliegen, für die Einheit zu beten.
In diesem Zyklus der Liturgien wartete ich eigentlich immer nur auf die nächste griechische Liturgie. Gott sei Dank war zu dieser Zeit ein junger orthodoxer Diakon Wächter auf Golgatha, der sehr gut englisch sprach und sehr offen war. Ihm konnte ich Fragen über die Liturgie stellen, einige Gesänge lernen, aber auch über die Unterschiede zwischen der orthodoxen und der röm.-kath. Kirche austauschen. Ich verdanke ihm wirklich sehr, sehr viel! Er beantwortete alle meine Fragen mit endloser Geduld und vor allem hat er mich nie beeinflusst, was für mich sehr wichtig war. Denn später, in der Auseinandersetzung mit „meiner” Gemeinschaft, wurde mir immer wieder gesagt, ich sei von den Orthodoxen beeinflusst worden. Ich habe genau das Gegenteil erfahren! Von röm.-katholischer Seite aus wurde ich bedrängt, man versuchte mich nachhaltig davon zu überzeugen, dass hier die Fülle der Wahrheit sei, dass man nicht einfach den Primat des Papstes außer Acht lassen könnte usw. Von orthodoxer Seite aus erhielt ich lediglich Antworten auf meine Fragen und Informationen. Natürlich bekannte jeder, dass er davon überzeugt war, dass die orthodoxe Kirche die wahre Kirche Christi sei. Aber niemand bedrängte mich jemals, dass ich orthodox werden müsste!
So vergingen die ersten drei Monate, mit Liturgien, Studium und Austausch. Es war eine schöne, intensive, aber auch sehr schwierige Zeit für mich, denn ich durfte mir mein wachsendes Hingezogensein zur Orthodoxie ja nicht anmerken lassen, sonst wäre ich bestimmt unverzüglich nach Deutschland zurückbeordert worden! Nach diesen drei Monaten tat sich ein anderes Problem auf. Unsere Visa waren abgelaufen und wir mussten entweder versuchen sie verlängern zu lassen oder aber nach Deutschland zurückkehren und neu einreisen. Letzteres fürchtete ich sehr, denn ich war mir sicher, dass mein Seelenführer mir sofort angemerkt hätte, dass irgendetwas nicht mehr stimmte mit mir. Ein bekannter orthodoxer Priester riet mir, mich an einen orthodoxen Bischof zu wenden. Vielleicht könnte er mir in der Visa-Angelegenheit helfen. Ich suchte ihn auf, erklärte ihm alles und erzählte ihm auch von meinem Erlebnis in jener Osterliturgie und dass ich mich mehr und mehr fragte, ob ich nicht orthodox werden sollte. Wenn ich aber nach Deutschland zurück müsste, dann würde das wahrscheinlich „das Ende” für mich bedeuten.
Der Bischof gab mir den weisen Rat, mich meinem Seelenführer und Leiter der Gemeinschaft zu offenbaren und um ein „Sabbatjahr” zu bitten, d.h. er riet mir darum zu bitten, ein Jahr von der Gemeinschaft freigestellt zu werden, um zu lesen, zu studieren, die Liturgie zu besuchen, die Schönheit und Tiefe der Orthodoxie kennen zu lernen, aber auch die menschlichen Schwächen und Fehler, und nach diesem Jahr eine reife Entscheidung treffen zu können. Das schien mir ein guter Rat zu sein, und so schrieb ich einen Brief an meinen Seelenführer mit der Bitte um dieses Sabbatjahr. Ich schrieb deutlich, dass ich meine Entscheidung nicht aus einer ersten Liebe und Begeisterung heraus treffen wollte, sondern dass ich die Zeit zum Studium und zur Prüfung brauchte. Diese meine Anfrage wurde mit äußerster Entschiedenheit abgelehnt!
„…Nach einem viermonatigen Aufenthalt die Frage nach einer evtl. Konversion zu stellen, weist eher auf die mangelnde Stabilität katholischer Überzeugungen hin, als auf eine Führung Gottes. Der Erweis, dass die orthodoxe Kirche mehr der Wahrheit Gottes entspricht, als die katholische Kirche, wird aus katholischer Sicht nicht zu erbringen sein. Spätestens am “Felsen Petri” werden solche Annahmen scheitern.” (Auszug aus dem Antwortbrief) Außerdem wurde ich darauf hingewiesen, dass ich mit einem Auftrag nach Jerusalem gesandt worden war, und dass ich schon aus diesem Grund nicht freigestellt werden konnte, um eine persönliche Frage zu prüfen.
Hier ein weiterer Auszug aus meinem Antwortbrief:
…Ich kann nicht mehr zurück! Für mich ist es eine Gewissensfrage, die ich vor alle anderen stellen muss und will. Ich habe Deinen Brief die vergangenen Tage wirklich mehrfach gelesen und betend erwogen und mir ist dabei immer deutlicher geworden, „dass ich bereits auf der anderen Seite bin”. Zu diesem Zeitpunkt gibt es für mich kein zurück mehr. Das heißt nicht, dass ich bereits beschlossen hätte zu konvertieren.
…Ich möchte Dich bitten, dass Du mich aus der Gemeinschaft entlässt, dass ich diese Frage einer Konversion als Zivilperson prüfen kann. Im Bezug auf die Orthodoxie hast Du geschrieben „man muss eine Liebe erleben dürfen, ohne sie an sich ziehen zu wollen”. Ich möchte sie nicht an mich ziehen, ich möchte mich ihr ganz hingeben. Die Orthodoxie ist für mich wie ein ganzer Kosmos, in den ich ganz eingehen möchte – wenn es sich so zeigen sollte. Und ich sehe für mich mittlerweile nicht den Weg, einzelne Bausteine zu nehmen und sie in die katholische Spiritualität und Liturgie einzupflanzen.
In einem weiteren Antwortbrief wurde ich aufgefordert, umgehend nach Deutschland zurückzukehren, um die Situation vor Ort zu klären. Das wollte ich eigentlich nicht, denn ich fürchtete meine eigene Schwäche, dass ich vielleicht doch wieder beeinflusst werden könnte und einen Schritt zurück machen würde. Leider gab es keine Möglichkeit das Visum zu verlängern und parallel dazu erfuhr ich auch, dass mein Seelenführer bereits einen Flug gebucht hatte, um nach Jerusalem zu kommen und mit mir zu reden, falls ich nicht nach Deutschland gekommen wäre.
So ging ich also zurück nach Deutschland, zu „meiner” Gemeinschaft und hatte mehrere Gespräche mit meinem Seelenführer. In einem dieser Gespräche wies er mich darauf hin, dass ich als Katholikin die Frage stellen müsste, ob die orthodoxe Kirche die wahre Kirche Christi sei, und dass ich nicht in meinem Herzen schon „auf der anderen Seite, also orthodox, sein könnte”, um von dort aus zu prüfen, ob die katholische Kirche, die wahre Kirche sei. Das sei illegitim. Als Katholikin müsste ich vom katholischen Standpunkt aus prüfen. Das überzeugte mich irgendwie, und da mein Seelenführer mir zusicherte, dass ich nach Ablauf dieses Jahres, wenn ich meinen Auftrag in Jerusalem erfüllt hatte, die Frage nach der Orthodoxie prüfen dürfte, kehrte ich in den Gehorsam und in seine geistliche Führung zurück. Allerdings bekenne ich, dass ich bereits eine halbe Stunde später weinend da stand und immer wieder sagte: „Jetzt habe ich alles verloren!” Mein Seelenführer versicherte mir immer wieder, dass ich gar nichts verloren hätte, dass ich mir die Frage ja stellen dürfte – nur nicht jetzt!” Da ich wieder in den Gehorsam und die geistliche Führung zurückgekehrt war, wurde ich nach drei Wochen wieder nach Jerusalem zurückgeschickt, um dort meinen Auftrag bis Pfingsten weiterzuführen. Die ersten drei Wochen ging es gut, ich war entschlossen meinen Auftrag zu erfüllen und vor allem die Frage nach der orthodoxen Kirche als Katholikin zu prüfen – später. Aber mein Herz konnte nicht mehr zurück! Bildlich gesprochen fühlte ich mich wie schwanger, das Kind wollte geboren werden – und nun sollte ich die Frage völlig beiseite stellen. Das glich für mich geistlich gesehen einer Abtreibung! Wenn ich wenigstens die Erlaubnis bekommen hätte zu lesen oder auszutauschen. Aber all das war mir verwehrt, ich hatte einzig und allein die Erlaubnis einmal monatlich die Liturgie zu besuchen. Nach einigen Wochen war ich innerlich völlig am Ende. Ich saß weinend auf Golgatha und wusste nicht mehr, was ich tun sollte. Ein orthodoxer Mönch hatte einmal zu mir gesagt: „Just follow the voice of your heart.” Mein Herz war eigentlich schon orthodox.
An Weihnachten musste ich wiederum wegen des Visums nach Deutschland zurück. Ich stand wieder vor demselben Problem. Mein Herz war schon auf „der anderen Seite”, aber diesmal wollte ich es mir nicht anmerken lassen, denn sonst hätte es kein zurück nach Jerusalem mehr gegeben. Allerdings sagte ich in einem Gespräch zu meinem Seelenführer, dass ich darauf warte, die Frage nach einer Konversion endlich prüfen zu dürfen. Er war erstaunt und bekannte offen, dass er eigentlich gedacht hatte, dass diese Frage für mich nicht mehr aktuell sei und sich im Laufe der Zeit erübrige. Er teilte dann auch offiziell der Gemeinschaft mit, dass ich immer noch beabsichtigte diese Frage zu prüfen.
Ich kehrte also zurück nach Jerusalem. Es war eine schreckliche Zeit für mich! Ich war innerlich so zerrissen und im Zwiespalt. Einerseits sagten mir mein Herz und mein Gewissen, dass die Fülle der Wahrheit in der orthodoxen Kirche ist, und dass sie die wahre Kirche Christi ist. Es war nicht nur dieses erste Erlebnis. Hier wurde das Heilige noch heilig gehalten, die Liturgie war auf Gott hin ausgerichtet und wurde nicht an die Menschen verkauft und ihnen schmackhaft gemacht, sie war immer dieselbe, wie die Väter sie uns gelehrt hatten. Der Glaube wurde bewahrt, so wie er uns von den Vätern überliefert und in den ersten sieben Konzilien niedergelegt worden war. Keine ständig neuen theologischen Theorien und liturgischen Experimente. Hier war die Fülle der Wahrheit und die ursprüngliche, eine Kirche Christi. Diese Gewissheit war in den zahlreichen Gesprächen mit dem Diakon und einigen anderen Mönchen und durch den Besuch der Liturgie mehr und mehr in mir gewachsen. Andererseits fühlte ich mich im Gehorsam gebunden, diese Frage (die eigentlich keine Frage mehr war) jetzt nicht zu prüfen und auch mit keinem Mitglied der orthodoxen Kirche auszutauschen. Wohin also mit dieser inneren Not?!
Gott schickte mir wiederum einen Helfer. Es war ein befreundeter röm.-kath. Theologe und Diakon, um dessen Zuneigung zur Orthodoxie ich wusste. Als ich ihm meinen inneren Konflikt zwischen Gewissen und geistlichem Gehorsam offenbarte, antwortete er mir: „Es ist röm.-kath. Lehre, dass in Fragen des Glaubens und der Kirche das persönliche Gewissen über dem Gehorsam steht.”
Das war wie eine Erlösung für mich! Mein Entschluss war gefasst. Am nächsten Tag suchte ich den Patriarchen auf, erzählte ihm meine Geschichte und offenbarte ihm meinen Wunsch orthodox zu werden. Er nahm mein Anliegen offen auf und teilte mir einen Mönch zu, der mir Katechese erteilten sollte. Das war eine Woche vor Beginn der Fastenzeit, also fast ein Jahr nach meiner Ankunft in Jerusalem.
In einem weiteren Brief teilte ich meinen Entschluss meinem Seelenführer und der Gemeinschaft mit. Natürlich wurde er nicht akzeptiert. Mein Seelenführer mahnte mich, unverzüglich in den vollen Gehorsam zurückzukehren, da es sich nicht um eine Gewissensfrage handeln würde, keine weiteren Schritte zu unternehmen und ab sofort jedes Ratsverhältnis und jede Katechese von orthodoxer Seite her abzubrechen, bis er nach Jerusalem komme. Diesmal war mein Entschluss allerdings gefasst und ich war nicht gewillt, ihn noch einmal in Frage stellen zu lassen. Ich schrieb einen letzten Brief an meinen Seelenführer und verließ einige Tage später, vor seiner Ankunft in Jerusalem die Gemeinschaft. Zu diesem Zeitpunkt fühlte ich mich keiner weiteren verbalen Auseinandersetzung mehr gewachsen. Ich sah auch keine Perspektive dafür. Die Gemeinschaft wollte der Ökumene dienen – ich sah keine Perspektive für die Einheit der so genannten „Schwesterkirchen”. Oder besser gesagt, es ist meine Überzeugung, dass es für die röm.-kath. Kirche nur den einen Weg zur Einheit gibt, den Weg zurück zur orthodoxen Kirche. Alles andere ist ein künstliches, menschliches Gebilde. Wie befreiend ist es, an einer orthodoxen Liturgie teilzunehmen und zu wissen, dass sie unveränderbar ist, und nicht wie in einer katholischen Messe befürchten zu müssen, womit man diesmal wieder konfrontiert wird. Manchmal denke ich, dass viele orthodoxe Menschen gar nicht wissen, welcher geistliche Reichtum und welcher Schatz ihnen anvertraut ist, wie dankbar wir Gott dafür sein müssen und wie sehr wir dafür verantwortlich sind ihn zu bewahren!
Ich verließ also die Gemeinschaft. Und nun? Kein Geld, keine Wohnung. Wohin? Es war überwältigend, wie viel Hilfe ich erfuhr, sowohl in geistlicher als auch in finanzieller Hinsicht. Da mein Visum wieder einmal zu Ende war, bot man mir an, für drei Wochen nach Griechenland in ein großes Kloster zu gehen, um dort das monastische Leben etwas näher kennen zu lernen und dann zurück zu kehren. Als ich eine Woche nach Ostern zurückkam, hatte man leider noch keine Wohnung in Jerusalem für mich gefunden. Es tat sich eine Möglichkeit im Kloster des Heiligen Gerasimos in der jordanischen Wüste auf. Da wollte ich auf gar keinen Fall hin! Ich wollte in Jerusalem bleiben, jetzt wo ich endlich frei war und die Liturgien besuchen konnte und austauschen konnte, mit wem ich wollte! Zu guter Letzt sagte ich zu – aber wirklich nur für eine Woche, bis man eine Wohnung in Jerusalem gefunden hätte. Nach einer Woche gefiel es mir dort in der Wüste so gut, dass ich darum bat eine weitere Woche bleiben zu dürfen. Es wurde mir gewährt. Nach meinem Weggang aus der Gemeinschaft wurde ich nachts von schrecklichen Alpträumen geplagt. In den Träumen wurde ich immer mit der Gemeinschaft konfrontiert. Man hatte mir vorausgesagt, was mir wohl geschehen würde, wenn ich die Gemeinschaft verließe und konvertieren würde. Diese Aussagen verfolgten mich wie dunkle Prophezeiungen zumeist nachts, so dass ich schweißgebadet und weinend aufwachte. Hier, im Kloster des Heiligen Gerasimos, war der erste Ort, an dem meine Seele nach dieser geistlichen Schlacht wieder zur Ruhe kam und Frieden fand. Nach einer weiteren Woche wurde mir das Herz schwer bei dem Gedanken, diesen Ort wieder verlassen zu müssen, und ich bat darum, noch eine Woche bleiben zu dürfen. Daraufhin sagte mir Gerontas Chrysostomos, der Abt, dass ich bleiben könne, solange ich wollte. Es war mein innigster Wunsch und meine Bitte die Taufe zu empfangen. und Gerontas Chrysostomos nahm meinen Wunsch offenen Herzens auf. Am Vorabend des Festes des Heiligen Apostels Judas Thaddäus taufte er mich, und ich erhielt den Namen Matthaia, nach dem Apostel und Evangelisten Matthäus. (Eigentlich wollte er mich auf den Namen Mariam taufen, aber unmittelbar vor der Taufe vernahm er deutlich eine innere Stimme die sagte, „nicht Mariam, Matthaia.”) Nach der Taufe fragte mich Gerontas, ob der Heilige Matthäus irgendeine Bedeutung für mich hätte, und ich erzählte ihm von meinem Erlebnis an jenem Karfreitag, als ich das Evangelium nach Matthäus gehört hatte und gesagt hatte, dass ich eine Antwort auf die Liebe Christi werden wolle.
Die Nacht verbrachte ich betend in der Kirche und am nächsten Tag, während der Göttlichen Liturgie, empfing ich von Gerontas die Mönchsweihe. Diese beiden Tage waren die glücklichsten in meinem Leben. Ich war endlich zu Hause angekommen.
Dieses Kloster ist meine Heimat geworden. Zwar versehe ich mittlerweile einen Dienst im Patriarchat in Jerusalem, aber ich kehre jedes Wochenende hierher zurück
In der Zwischenzeit sind zweieinhalb Jahre vergangen, und ich danke Gott nach wie vor jeden Tag dafür, dass er mich den Weg in seine Kirche geführt und mir die Gnade der Taufe geschenkt hat.
Schwester Matthaia Osswald,
Deutschland
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